Lieber Papa


Der folgende Brief  - von uns leicht gekürzt - wurde von einem 16 jährigen Mädchen an ihren Vater geschrieben,und zwar einige Wochen, nachdem er ihre Mutter, ihren Bruder und sie selbst einer anderen Frau wegen verlassen hatte.

 

Lieber Papa!
Es ist schon spät, und ich sitze hier in meinem Bett, um dir zu schreiben. Wie oft wollte ich in den letzten Wochen mit dir sprechen! Aber ich fand keine Gelegenheit, mit dir allein zu sein. Ich kann es noch nicht fassen, dass du jetzt mit jemand anders zusammen bist, und dass du und Mama vielleicht nicht wieder zusammenfinden.
Es fällt mir sehr schwer, das zu akzeptieren, besonders wenn ich daran denke, dass du vielleicht nie wieder nach Hause kommst und für mich und meinen Bruder wieder so Papa bist, wie du es immer warst. Aber ich möchte wenigstens, dass du verstehst, was im Leben von uns allen vor sich geht. Und denke ja nicht, Mama hätte mich gedrängt, dir zu schreiben! Das hat sie nicht. Sie weiß nicht einmal, dass ich dir schreibe.

Ich möchte dir nur einfach meine Gedanken zu alledem mitteilen.

Papa, ich stelle mir vor, unsere Familie wäre ein Auto, ein eigentlich schönes Auto, in dem wir lange Zeit miteinander gefahren sind. Von außen sah es prima aus, keine Kratzer, kein Rost, und innen drin gab es viele schöne Dinge. Aber mit der Zeit kamen Probleme auf. Der Motor qualmt jetzt, die Räder wackeln, die Sitzbezüge sind zerschlissen; der Wagen ist schwer zu steuern, und das Fahren ist wirklich mühsam durch all das Schütteln und Quietschen. Aber weißt du was, Papa? Es ist immer noch ein prima Wagen - oder wenigstens könnte er es sein. Mit etwas Aufwand könnte der noch viele, viele Jahre fahren.

Mein Bruder und ich saßen immer auf den Rücksitzen, und du und Mama vorne. Wir fühlten uns immer sicher, wenn du fuhrst und Mama neben dir saß. Aber letzten Monat, als du uns verließest, musste Mama das Steuer übernehmen. Es war Nacht, und es war, als käme plötzlich ein Wagen auf uns zu gerast. Mama versuchte auszuweichen, aber der andere Wagen knallte auf uns. Es war ein schrecklicher Unfall.

Das Furchtbare dabei aber ist, Papa, dass du den anderen Wagen lenktest und dass noch jemand neben dir saß - jene andere Frau. Ja, es war ein schlimmer Unfall. Wir sind alle schwer verletzt. Und wie mag es wohl mit dir sein? Wir wissen immer noch nichts von dir. Bist du auch verletzt worden? Brauchst du Hilfe, Papa?

In jener Nacht habe ich mich oft gefragt, ob wir das wohl überstehen würden. Mama hat die schlimmsten Verletzungen und kann sich gar nicht erholen. Bruno stand richtig unter Schock. Es geht ihm immer noch schlecht, und er will mit niemand sprechen. Ich selbst hatte solche Schmerzen, dass ich weder Mama noch Bruno helfen konnte. Der Arzt hat gesagt, ich hätte noch eine besondere Therapie nötig, um wieder aufzukommen.
Aber Papa, statt der Therapie hätte ich viel lieber, dass du mir hilfst. Der Schmerz tut so weh! Papa, wir vermissen dich so sehr! Jeden Tag fragen wir uns, ob du dich vielleicht aufmachst und bei uns hereinschaust. Und jeden Tag kommst du nicht. Papa, ich fürchte, es ist alles vorbei, aber mein Herz würde vor Freude platzen, wenn ich irgendwie die Augen aufmachen könnte und sehen, wie du in mein Zimmer kommst. Abends, wenn alles ruhig ist, sitzen wir zusammen, und dann sprechen wir über dich, und wie gern wir alle mit dir gefahren sind, und wie sehr wir alle wünschen, du wärst wieder bei uns. Papa, geht es dir gut? Hast du Schmerzen von dem Unfall? Brauchst du uns, so wie wir dich brauchen? Solltest du mich brauchen, ich bin da, und ich habe dich lieb.
Deine Steffi

 

Der Brief war abgeschickt.
Einige Tage später kommt Steffi morgens die Treppe herunter zum Frühstück.
Und da sitzen Papa und Mama Hand in Hand, mit Tränen in den Augen, am Tisch! Er war zurückgekommen.



(Verfasser unbekannt)